Frederick Bunsen
Trinität 1986, 90 cm x 71 cm, acylics on paper
Meine erste Begegnung mit Performance, wie Frederick Bunsen sie versteht, war eine Irritation. Eine Sindelfinger Galerie hatte zehn Künstler in die Stuttgarter Schleyerhalle eingeladen, um zwischen Kunst und Sport eine Verbindung zu stiften. Diese Absicht schlug fehl. Das Ausbreiten von Packpapier für eine Malaktion im Halleninnenraum war in den Verwaltungsvorschriften nicht vorgesehen. "Ordner warfen alles auf den Mull. Eine unglaubliche Barbarei" beschwerte die Galeristin sich beim Sindelfinger Veranstalter. für einen Künstler wie Frederick Bunsen ist solches Handeln authentischer Ausdruck menschlichen Seins. Da er mit seiner Kunst einen "sinnschöpferischen Prozeß" in Gang setzen und erstarrte Denkstrukturen aufbrechen will, ereignet sich Performance für ihn schon dann, wenn eine Erwartungshaltung negiert wird.
"Die Absurdität und Zwecklosigkeit einer Handlung sind Ausgangspunkt für die Betroffenheit des Betrachters", schreibt der Stuttgarter Maler in einem Papier zur Einführung in die Begriffswelt von Performance, Happenings und Installationen für einen Lehrgang an der Freien Kunstschule der Stadt Herrenberg wo er seit 1985 Dozent für Malerei und allgemeine Künstlerische Ausbildung war, und nach deren Auflosung an der VHS unterrichtet. Was das Ereignis in der Schleyerhalle nach gängiger Beurteilung zu einer mißlungenen Aktion macht, erfüllte für ihn somit viele Merkmale von Performance, in der Kunst und Leben zu einer Einheit verschmelzen: spannungsvolle Ungewißheit, unmittelbare Betroffenheit, sich widersprechende Faktoren von Erwartung und Ergebnis, sich widerspiegelnde Lebensrealität aus Wunsch und Wirklichkeit. Impulse werden ausgelost, die einen "reflektiven Kommunikationsweg" in Gang setzen, in diesem Fall das Fragen nach neuen Wegen für die Rezeption von Kunst. Im Erleben einer lebendigen Handlung, entstanden aus Zufall oder Absicht, wird der Alltag zur Kunst, wo immer er Wahrheiten erfahrbar macht. Bunsen fuhrt damit eine amerikanische Denkweise weiter, die in den 50er Jahren im Happening ihren Ausdruck fand: Leben ereignet sich unmittelbar und hat schon dadurch einen Sinn in sich selbst. Sinn und Sein von Kunst erschließt sich für ihn von daher "aus dem Gefüge des Künstlerischen Tuns".
Der 1952 im texanischen El Paso geborene sproß einer Seitenlinie der "Bunsen-Brenner-Denk-Dynastie" kam 1973 nach Stuttgart über ein Austauschprogramm des amerikanischen Bundesstaates Oregon mit Baden-Württemberg. wurde der Rektor der geisteswissenschaftlichen Fakultät, Gordon Gilkey, der als Offizier der amerikanischen Armee gegen Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem Sonderauftrag in Europa gewesen war, vom Naziregime verfemte Kunstwerke aufzuspüren und sicherzustellen.
Als passioniertem Sammler europäischer Graphik war es ihm wichtiger, die Frage "Can you draw?", kannst Du zeichnen?, positiv beantwortet zu wissen als das geforderte "Sprichst Du deutsch?" Das mußte Bunsen sich vor Ort erkämpfen. Die Sprache, die er inzwischen perfekt beherrscht, ist ihm Mittel geworden, seine "Unabhangigkeitserklarung" von herrschenden Tendenzen auf dem Kunstmarkt abzugeben. Nach der These "mind over matter", schrieb er in einem Vorauskommentar zur Veranstaltung in der Schleyerhalle, gelange wie bei einem Sportler der seinen Körper mit dem Geist vorantreibe, der Geist des Künstlers durch die gelenkte Ordnung in seinen Kunstmitteln zum Ausdruck.
Durch die Herausforderung mache er Grenzerfahrungen und komme in Grenzbereiche, zu deren Bewältigung auch Selbstüberwindung gehöre. Hart an den Grenzen der Existenz des Lebens und im eigenen Selbst stößt er sich seit einem Studienaufenthalt in Alaska 1974, als er sich noch mit dem Gedanken trug, Meeresbiologe zu werden und durch archäologische Funde mit der Geschichte der Verfolgung und Ausrottung der Indianer konfrontiert wurde. Die Suche nach Antworten in der Theologie erweiterte er um philosophische Fragestellungen nach dem Sprung von der Neuen in die Alte Welt, von Amerika nach Europa.
Aus Besuchen von Friedhöfen in der Provence und der Beschäftigung mit Anatomie erwuchsen Eingrenzungsversuche mit bildnerischen Mitteln. Voraussetzung, daß es gelingen kann, durch den Abstraktionsprozess das innere Wesen von Begriffen wie Vergänglichkeit, Hoffnung, Liebe, Geburt, Tod und Transzendenz "einsichtig", transparent zu machen, ist für Bunsen die Wahrhaftigkeit, mit der das unternommen wird. So ist er zum Künstler geworden, der "Leben in der Handlung" behauptet. Aus der, Weltrealität der Erfahrungen tritt er in eine "Kunstrealität", in der nicht erst das Ergebnis zahlt sondern die Vollendung schon in der Handlung liegt: ich handele, also bin ich. Der "immaterielle" Teil - der Kunst, die Handlung, gehört für ihn untrennbar zum "materiellen" Ergebnis. Kunst ereignet sich im Werden.
Im Austauschjahr arbeitete Bunsen in einer Lithographiewerkstatt bei Professor Erich Mönch in Tübingen und war Gaststudent bei Professor Günter Böhmer an der Akademie de Bildenden Künste in Stuttgart. Nach Abschluß seiner Studien in den USA kehrte er nach Stuttgart zurück und wählte nach einer mit Auszeichnung bestandenen Aufnahmeprüfung die Professoren Hugo Peters, Rudolf Haegele, Erwig Schubert und KH Sonderborg zu seinen Lehrern (von 1975 bis 1980). Was er seinen Herrenberger Schülern im April 1987 bei einer Ausstellung im Stuttgarter Liberalen Zentrum unter dem Titel "Spiel und Experiment" mit auf den Weg gab, spiegelt eigene Erfahrungen: Durch ein Kunststudium lernt ein Student, Alltagsgeschehnisse, die nicht abgeschlossen sind, in eigener Sprache der Kunst zu formulieren. Dieser Prozeß des Suchens und Ausprobierens geht weiter, bis eine Atmos-Sphäre, d.h. Sphäre des Atmens, geschaffen wird." Dabei bleibe die Selbstbewußtwerdung im Übergang von der Theorie in die Realität ein gewagtes Experiment.
Seine Suche nach der Wahrhaftigkeit des Ausdrucks wurde auf eine harte Probe gestellt, als Professor Hugo Peters die vorgelegte Mappe mit einer abwertenden Bemerkung abtat. Bunsen nahm den Fehdehandschuh auf. Im Versuch einer Synthese zwischen amerikanischem und deutschem Denken ist er zum scharfen Kritiker eines Kunstbetriebs geworden, wo "Abstraktion zur Dekoration" entartet. Wo er in einer Ausstellung der Studiengalerie der Universität Stuttgart 1984 unter dem Titel "Epistel und Epitaph" in Zeichnungen oder Acrylbildern Sarge aufdeckte und den Blick auf die Skelette freigab, fühlte er sich noch als "Bunsen im Wunderland der Sinnlosigkeiten auf einen absurden Sinn gebracht nämlich den der Vergänglichkeit der menschlichen Komödie", wie der Kunsthistoriker Herwarth Röttgen in der Broschüre zur Ausstellung schrieb. Im gleichen Jahr begann er in Ausstellungen beim unkonventionellen Stuttgarter Galeristen Bernd Heidelbauer und im Makal-City Theater unter den Titeln "Schon wieder auf dem Strich" und "Peepshow-Kunst" gegen den Erstickungstod im Kunstkommerz zu Felde zu ziehen. Er verkündigte seinen fiktiven Tod, indem er sich einen anderen Namen zulegte. In der Kunstzeitschrift ZYMA von Juli/August 1984 zieht er in Pervertierung der Gebote der Kunstvermarktung eine scharfe Trennlinie zwischen Schein und Wirkung.
Ein Kunstwerk als authentische Schöpfung unterscheidet sich für ihn von einem Kunstwerk mit dekorativer Wirkung so stark wie Liebe von Prostitution. "Ursache-Wirkung-Nachwirkung", von Björn Engholm in einem von der Berliner Filmakademie gedrehten Video bei Eröffnung der Ausstellung in der Berliner Galerie AKMAK als "ästhetische Unruhestiftung" bezeichnet, hat für Bunsen auch immer eine existentielle Dimension. Die Handschrift als "fließendes, automatisches Gestikulieren" ist ihm erste Botschaft eines handelnden Selbst.
Eine "Galeriebesetzung" - eines seiner typischen Wortspiele, um ernsthaften Vorhaben einen Schuß Leichtigkeit beizumengen und in Beckettscher Manier das Leben als Spiel verlaufen zu lassen - bei der Stuttgarter Galerie Seiler stellt er 1982 unter den Titel "Freiheit in Bezug auf den Tod". Durch Uuml;bermalen alter Fundstucke wie Notenblätter, Zeitungsausschnitte, Briefe mit der eigenen, lebendigen" Handschrift (palimpsest) zeigt er in Bildern und Collagen den Kreislauf des "Stirb und werde". Die Skripturen verdichten sich, weisen als "Richtungen", so eine Mappe mit Kaltnadelradierungen 1984, in den Raum und formen sich zu "Grenzlandschaften". Die Erfahrung der deutsch-deutschen Grenze in Berlin als Realität verstärkt den Wunsch nach dem Sprung über die Grenze in die Dimension der Horizonterweiterung. Die Bilder, raumgreifend im Format, mit ausgefransten Rändern, sind "Abrisse" aus einem Erkenntnisprozess. Wie das "Ganze der Erfahrung" im philosophischen Sinne einer "Geheimschrift" gleichkommt, die zu entziffern ist, so laufen Bunsens Skripturen als "Liebesbotschaft an das Leben" über den oft dunklen, verschlüsselten Hintergrund. In einer einwöchigen "Clausur" in Paris 1984 mit der internationalen Künstlervereinigung "Die Gruppe", die er in Leonberg mitbegründete, installierte er noch Totenschädel in Kellergalerieräumen mit dem Flair einer Totengruft.
Seine mit den Symbolen der "Trinität" - aus dem Schopfungsakt des Künstlers manifestiert sich Leben, wenn ihm Geist eingehaucht ist - tragen sich inzwischen mit dem Schimmer der Hoffnung. Zwar wird der Blick durch menschenleere Hauserschluchten in die Tiefe gezogen, doch der Raum ist transzendent. "Reflection" als Titel meint nicht nur die Widerspiegelung des Lichts in den Straßen. "Reflection" ist auch die Widerspiegelung der objektiven Realität in einer "Kunstrealität" durch die sich, wenn sie zurückwirkt auf das menschliche Bewußtsein. neue Erkenntnisse erschließen. Kaleidoskopartig fallt die "Architektur des Lebens", in den Farben der Gebäude zugleich appellierend und distanzierend, zu immer neuen Konturen zusammen. In einem Buch das im Sommer 1988 zu Installationen und Performances in Salzburg von Bunsen herausgekommen ist mit Beitragen so renommierter Autoren wie Josef Anselm Adelmann v.A. undNiklas Luhmann, der vorgestern den diesjährigen Hegelpreis der Stadt Stuttgart erhielt, hat Bunsen die Fortentwicklung auf den Nenner einer "Negation der Negation" gebracht. So wie in seinen vielschichtigen Bildern unter den oberen Schichten die unteren hindurchschimmern und sich zu einem vieldeutigen Neuen verbinden, negiert jede Entwicklung die vorherige, doch sie baut darauf auf und speichert sie in sich. Da Erkenntnisse auch auf der neuen Stufe nicht stehenbleiben, müssen sie wiederum eine Negation erfahren. Durch die doppelte Verneinung wird Tradition zugleich anerkannt und weiterentwickelt in einem ständigen Prozeß. Jede Wiederholung ist schon wieder Tradition.