Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes
sei jetzt mit uns allen.
Amen.
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Sensationell war es immer wieder: 100 000e Menschen strömten zum Passahfest nach Jerusalem, in eine Stadt, die vielleicht 10 000 Einwohner hatte! Aus aller Welt kamen die Festpilger, um das heilige Fest der Befreiung zu erleben. Der Befreiung aus der vielfachen Gefangenschaft in ihrem eigenen Leben, wie damals auch die Befreiung ihrer Vorfahren aus der Gefangenschaft in Ägypten. Freiheit, das war für sie nach wie vor das ganz große Thema und der ganz große Wunsch. Freiheit innerlich und äußerlich. Denn sie waren über viele Länder zerstreut und mussten unter vielen fremden Herren dienen.
Alles in Jerusalem war auf den Ansturm vorbereitet. Es sollte auch dieses Jahr wieder ein großes Fest werden. Und alle sollten etwas davon haben, die Festbesucher ihre eindrücklichen Erlebnisse und natürlich auch die Jerusalemer ihre besonderen Einnahmen.
Doch dann geht es wie ein Lauffeuer durch Jerusalem: Eine Sensation hat sich ereignet! In diesem Jahr ist nicht nur die Befreiung vom größten Sklavenhalter der Geschichte, von Ägypten das alles beherrschende Thema, sondern noch eine ganz andere sensationelle Befreiung, die Befreiung von der unbesiegbaren Macht des Todes. Ein Toter wurde von Jesus auferweckt: Lazarus. Und das, nachdem er 4 Tage schon in einem Felsengrab gelegen hatte. Viele konnten das bezeugen, weil sie dabei waren, wie Lazarus aus dem Grab kam. Dieser Jesus hatte das getan! Er muß der von den Propheten versprochene König, der Messias sein. In Scharen brachen die Festpilger darum aus Jerusalem auf, um an den Ort des Geschehens, nach Bethanien, östlich von Jerusalem, zu gelangen. Sie wollten den sehen, der stärker war als der Tod. Und überhaupt: Wer vom Tod befreien kann, wird auch von der lästigen Herrschaft der Römer befreien können.
Und auch die oberste Religionsbehörde und die frommen Gruppierungen wurden hellhörig: Diese Sensation in Bethanien rührte die 100 000 Festpilger auf. Sie könnten die Kontrolle verlieren. Und wohlmöglich greift die römische Besatzungsmacht hart durch und entzieht ihnen ganz ihre Macht. Das durfte keinesfalls passieren. Dieser Jesus mußte weg, am besten noch vor dem Höhepunkt des Passahfestes. Besser, ein einziger stirbt, als daß es Chaos, Krieg und Tote gibt. Unwissend sprach damals der Hohepriester Kaiphas aus, was sich als Wahrheit für die ganze Menschheit erweisen sollte.
Und dann noch eine Sensation: Auf einem Esel kommt er selbst, Jesus, der Zimmermannssohn aus Nazareth nach Jerusalem. Viele Pilger und Einheimische säumen den Weg und halten ihm Palmzweige aus ihren Festtagssträußen entgegen. Mit den damals üblichen Ruhmeszeichen empfangen sie ihn und huldigen ihm, als einem König, als dem Messias: "Hosianna! Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!" (Joh 12,13) Heil dem Sieger über den Tod. Heil unserem Gesalbten, unserem König. Und Jesus lässt das mit sich geschehen. Er weiß ja: in seinem kleinen Leben verdichtet sich das Größte, was Gott den Menschen zu geben hat: seine verwandelnde Gegenwart der Liebe. Jesus sagt kein Wort zu alle dem, aber er setzt ein Zeichen: Er nahm einen am Wegesrand stehenden Esel und setzte sich darauf, um so nach Jerusalem einzureiten, kein Maultier und schon gar nicht das königliche Tier, ein Pferd. Wie beim Propheten Sacharja (9,9) geweissagt, kommt der Gewaltigste von allen arm und ohnmächtig. Der Messias muß zum Spielball herrschender Mächte werden. Der das Leben bringen soll, muß selbst vom Tod verschlungen werden. Und das bedeutet kein Versagen, keine gescheiterte Revolution, kein misslungener Triumphzug. Es ist die Logik der Liebe, deren Gewalt still und sanftmütig ist. Sie ist ohnmächtig, weil sie die Freiheit liebt und niemals andere zwingen kann. Wegen ihrer Ohnmacht könnte man sie verachten. Und das geschieht auch viel zu oft. Aber wo die Liebe in dieser Freiheit wirksam wird, kann sie Menschen weit mehr verwandeln als alle Appelle und Ermahnungen, ja Zwänge und Verlockungen er jemals vermöchten. Die Macht der ohnmächtigen Liebe symbolisiert das Reiten auf einem Esel. Darum wurden auch die Jünger, die nach Emmaus zurückgingen gefragt: "Mußte nicht Jesus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?" (Lk 24, 26) Um der ohnmächtigen Liebe willen zog Jesus so in Jerusalem ein und ließ sich ans Kreuz schlagen.
Doch, liebe Gemeinde, dieser sensationelle Empfang Jesu wäre niemals in die Geschichte eingegangen und würde uns heute am Palmsonntag nach fast 2000 Jahren in fernen Landen noch beschäftigen, wenn nicht noch etwas danach geschehen wäre, nach seinem Einzug und nach Jesu ohnmächtigem Leiden und Sterben am Kreuz: Es war Jesu Auferstehung!
Die Sensation der Auferweckung des Lazarus: Denn der Tod ist nicht mehr das Letzte, wo Jesus ist. Und die Sensation: der Mächtigste kommt arm auf einem Esel wurde zunächst so schnell wie möglich in Vergessenheit gebracht, um Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Man tötete auf grausame Weise den Urheber. Und die Rechnung schien aufzugehen: die Volksmenge verlief sich nach der Kreuzigung. Das Passahfest nahm seinen gewohnten Verlauf. Die Festpilger reisten ab. Alles wurde aufgeräumt und abgerechnet und alles ging wieder seinen gewohnten Gang.
Doch im still gewordenen Jerusalem erlebte eine kleine Schar von Menschen nun die größte aller Sensationen. Die Mächtigen hatten zwar ihren Herrn und Meister, auf den sie alle Hoffnungen gesetzt hatten, getötet und damit alle ihre Hoffnungen zerstört. Und sie befürchteten nun auch verfolgt und getötet zu werden, damit das Übel von der Wurzel her ausgerottet würde. Und voller Angst sitzen sie nun hinter verschlossenen Türen. Doch da tritt Jesus in ihre Mitte und steht ihnen lebendig vor Augen: der Tote lebendig, der Ohnmächtige mächtig, der Arme reich! Diese Erfahrung sprengte alles, was sie bisher hatten denken und verstehen können. Und wo sie davon berichteten, stoßen sie selbst im innersten Kreis auf Zweifel und Unglauben. Was da geschehen ist, werden auch wir nie erklären können. Aber, daß seid Ostern Jünger und Jüngerinnen Jesu total verwandelt sind, daß die, die vor Furcht hinter verschlossenen Türen zitterten, plötzlich frei und ohne Angst in die Öffentlichkeit traten durch die Begegnung mit dem Auferstandenen, das ist eine Tatsache. Und erst im Nachhinein, von der Auferstehung Jesu Christi her, wurde ihnen die messianische Verehrung und die königliche Prophetie in ihrem ganzen Ausmaß bewußt. Armut und Ohnmacht Jesu am Kreuz ist kein Versagen, sondern gehört in das Wesen der Liebe hinein, die niemals zur Gewalt greift und doch die größte Gewalt überwindet: die des Todes. "Mußte nicht Jesus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?" (Lk 24, 26) Er mußte dies alles zu unserem Heil erleiden, damit er bei uns sein konnte in all unserem noch so tiefem Leid und mit seiner Auferstehung uns von der unserer Todesangst befreit, von der Angst vor Leid und Tod, mit dem dann alles aus und vorbei ist, und nur noch das schwarze Loch auf uns wartet.
Liebe Gemeinde, wie könnte sich mein Leben verändern, wenn nicht diese Todesangst mein Leben bestimmen würde? Wenn an die Stelle dieser Angst, die mein Leben so oft lähmt, der Glaube an den träte, der stärker ist als alles, was mir Angst machen kann, der von all diesem auferstanden ist? Dann jedenfalls würde bei all meinem Leiden an der Welt und in der Welt Ostern in mir selbst stattfinden, die große Befreiung von der Angst vor dem dann doch alles wieder infrage stellenden Tod.
Liebe Gemeinde, das Bild von Frederick D. Bunsen, das wir hier vorn sehen und das sie als Karte in den Händen haben, zeigt einen Weg, in dem wir die Geschichte unseres Lebens und das Geschehen mit Jesus als Geschichte zu unserem Heil sehen können. Bitte schauen sie einen Moment auf dieses Bild. Die Linien und Striche treten in eine Beziehung zueinander ein - wie es der Künstler will -, die zugleich mit unserem Leben und dem Leben Jesu in Passion und Ostern eine existentielle Verbindung eingeht. Wer dieses Bild sieht, sieht sich selber - wie es auch der Künstler möchte - als ein Mensch vor und mit Gott, erkennt sich selber in seiner Verbindung zu Gott. Und dies auf einem Weg, der von unten durch alle Höhen und Tiefen des Lebens hindurch nach oben zu Gott führt zusammen mit dem Leben, Sterben und Auferstehen Jesu.
Dicke rote Striche bestimmen den unteren Teil des Bildes, heftig und ausdrucksstark gemalt, übereinander, nebeneinander, sich kreuzend, überlagernd und kreisend gemalt. Schwarze, dünnere Längsstriche durchkreuzen die roten Striche. Ein Leben, das von der Liebe Gottes geprägt ist, redet und handelt, wird durchkreuzt. Das Rot der Liebe wandelt sich durch Menschenhand in das Rot des eigenen Blutes. Diesen Messias, der die Liebe predigt und bringt, der die Menschen in bedrohlicher Zahl faszinierte, der einem die Macht aus der Hand nehmen könnte, den wollte man nicht. Hoher Rat wie römische Obrigkeit und das ganze Volk haben bei den blutroten Strichen die Hand geführt. Den Lebensweg Jesu - auch auf dem Bild zu erkennen unter den roten Pinselstrichen -, durchkreuzte man und ließ ihn ein jähes Ende finden. Das sollte auf keinen Fall Schule machen und weitergehen, das mit Jesus. Eine Linie wie ein Drahtzaun, wie von Stacheldraht sollte das alles unzugänglich machen und abgrenzen. Vielleicht erinnert die Linie auch an die Dornen, aus denen Jesu Krone geflochten war, die Dornen menschlicher Grausamkeit und Großmannssucht, die ihn nicht groß werden lassen wollte. Noch über diese Demarkationslinie hinaus aber ist der Hintergrund grau in grau, aufgewühlt, wolkenverhangen wie das Leben ohne Gott auch, ohne viel Freude aber geprägt vom Kampf ums Dasein, vom nie zufrieden sein, vom immer mehr wollen, von Gewalt, Streit, Krieg und Terror. Farbiges hat da nur wenig Platz.
Höher nach oben aber hellt sich der Hintergrund auf dem Bild zunehmend auf und eine feine rote Linie mit einigen wenigen auch roten Querstrichen verläuft durch das Bild, eine Lebensader gewißermaßen, wie wenn sich das Leben eine Bahn schaffen wollte und ein neuer Abschnitt des Lebens beginnt. Das Grau hellt sich auf und vermischt sich mit dem hellen Licht der Auferstehung. Und durch das heller werdende Grau hindurch schimmert auch schon zunehmend das Blau des Himmels. Noch einige dunkle Wolken sind zwar zu sehen, aber sie sind schon vom himmlischen Blau umfangen. Eindrücklich zeigt dies Bild den Weg Jesu durch Leiden und Tod im unteren Bereich durch Überwindung aller von Menschen errichteten Zäune, auch durch den letzten Zaun, den Tod, hindurch zu neuem Leben in Gottes neuer Welt, dem himmlischen Leben.
Und darin ist auch eingeschlossen unser aller Leben mit all seinem Leiden und alle seiner Vergeblichkeiten, mit allen Zäunen, die Menschen aufstellen und die damit wirklich menschliches Leben, das von Frieden und Gerechtigkeit, von Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung geprägt sein sollte, behindern oder verhindern. Die Liebe Jesu ruft Grausamkeit hervor, das Rot der Liebe schlägt um in das Rot des Blutes, das Rot der Grausamkeit. Und doch bleibt es die Liebe, die in ihrer Zartheit und Ohmacht überlebt und in himmlische Höhen führt. Sie markierte eine neue, feine und zarte Grenzmarkierung, wie wenn es heißen sollte: nur die Liebe hat Zukunft und ist himmelführend.
Ganz elementar, auf das Wesentliche und grundsätzliche reduziert ist hier in dem Bild von Frederick D. Bunsen Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi und unser aller Leben, Sterben und Auferstehen vor Augen gestellt. Und die alles so, daß alles auf das Ziel des neuen Lebens in Gott hinführt, daß er durch seinen Sohn Jesus Christus aus Liebe und in Liebe für uns erwirkt hat. Amen.