Brennpunk einer Entwicklung

Der Malersaal an der Akademie der bildenden Künste Stuttgart

Frederick Bunsen 1998

Malersaal der Kunstakademie StuttgartMalersaal der Kunstakademie StuttgartMalersaal der Kunstakademie Stuttgart

Malersaal der Kunstakademie Stuttgart



Malersaal der Kunstakademie Stuttgart

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Malersaal der Kunstakademie Stuttgart

Atelier an der Kunstakademie Stuttgart

Herbert Hundhausen
Rudolf Haegele
Egon Lustner
Willi Baumeister
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Die Tür zum Atelierzimmer 224 im Altbau der Kunstakademie öffnete sich sprunghaft, und der Kollege Charlie Reinerz trat enthusiastisch ein. In seinen Händen trug er ein frisch gemaltes Tafelbild in Glättespachtel-Technik, das meine Aufmerksamkeit sofort auf sich zog. An der Oregon State Universität in Corvallis (USA) und anderen amerikanischen Kunstwerkstätten hatte ich zwar einiges an Maltechnik gelernt, dennoch waren die "europäischen" Verfahren für mich ein völlig neues Terrain.

Der geborene Luxemburger legte mir nahe, den "Malersaal" aufzusuchen, in dem Kunst-am-Bau (wie es damals hieß) unterrichtet wurde: Der Werkstattleiter wäre aufgeschlossen und es gäbe handwerklich noch einiges zu lernen. Der Ratschlag verhieß einen Ausgleich zur freien Vorgehensweise in der Malklasse.

Trotz fünf Semestern an einer deutschen Hochschule war ich immer noch sehr vom amerikanischen Erziehungssystem geprägt: In den USA wurden in den Klassen leistungsrelevante Aufgaben gestellt, die zum Schluß meistens bewertet wurden. Das Umsatteln auf das deutsche Lehrsystem war daher nicht leicht. An der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart war ich von Anfang an auf mich allein gestellt. Das Ziel, die Arbeitsweise und das Tempo mußten von mir selbst bestimmt werden; sie ähnelten einem Forschungslabor, weil jeder für sich allein - fast heimlich - arbeitete.

Das Angebot von Reinerz, einen neuen, mir bisher nicht bekannten Horizont, zu erkunden, kam im richtigen Moment. Ich erinnere mich genau, wie ich den großen, mit gewölbten Streben durchzogenen Malersaal zum ersten Mal betrat. Die massive, blaulackierte Holztür am vorderen Ende des Saals war geschlossen, und ich entdeckte auch, weshalb niemand auf mein Klopfen öffnete. Als ich die Tür eine Spaltenbreite aufmachte, sah ich, daß im Augenblick niemand im Saal war, und die nächste Türe 25 Meter entfernt lag. Beim nächsten Versuch ging die Tür zügig auf und der damalige Werkstattleiter, Herbert Hundhausen (+ 1984) begrüßte mich herzlich.

Auf seine Frage, stotterte ich in unsicherem Deutsch, daß ich etwas bei ihm lernen wolle. Diesen Entschluß hatte ich während der 25 Meter zu seiner Bürotür gefaßt, denn überall an der Wand und in herumliegenden Metallgestellen lagen riesige Werkexponate in Techniken, wie z.B. Fresko, Mosaik oder Dickglas, wovon ich in den USA nur geträumt hatte. Dieses Wissen wollte ich mir unbedingt aneignen.

Bereitwillig lud er mich in den darauffolgenden Wochen zu sich in die Werkstatt ein. Aus Wochen wurden Monate und aus Monaten Jahre - insgesamt drei, während derer ich unter seiner Anleitung immer neue Aufgaben anging. So machte ich mich vertraut mit der gestalterischen Praxis verschiedener Werkstoffe wie Glas, Beton, Holz, Kalk, Kunststoffe, Stein und verschiedenen Bindemitteln. Das praktische Arbeiten mit den Materialien löste bei mir einen geistigen Prozeß aus und es verfestigte gleichzeitig meine eigene künstlerische Ausdrucksweise.

Bereits im zweiten Malersaaljahr lag der Schwerpunkt auf den angewandten Bereichen. Der Werkstattleiter besuchte mit mir verschiedene Firmen, zur Umsetzung des theoretischen Wissens ins Praktische. Daraus resultierten einige Nebenjobs sowie die Vermittlung an einen Restaurator und ehemaligen Studenten der Akademie, Lothar Bohring, Kirchheim/Teck.

In jener Zeit verschaffte mir die intensive Werkstattarbeit einen realeren Blick für die Gesellschaft draußen. Auch mein "formales" Kunststudium unter Professor Rudolf Haegele (+ 1998) nahm eine positive inhaltliche Wende, gestützt auf die Vielfalt der bereits erlernten Mal- und Wandtechniken. Die Schulung des Geistigen und die Auseinandersetzung mit den verschiedenartigen Materialien haben sich bei mir ständig bedingt, so sehr, daß die neu erworbenen Kenntnisse ab und zu in heftigen kunstphilosophischen Diskussionen gipfelten.

In der Malklasse waren nur wenige Kollegen, darunter Charlie Reinerz, die meine Begeisterung für die technische Untermauerung der Malerei teilten. Zur damaligen Zeit waren die Räumlichkeiten des Malersaals und die reichlich offerierten Kursangebote wie ein berüchtigter Mythos verpönt: Mit anderen Worten: Manche Studenten haben damals behauptet, es gehöre nicht zum guten Stil eines angehenden bildenden Künstlers, sich mit dem Handwerklichen übermäßig zu beschäftigen, was für solche Studenten Zeitverschwendung war.

Daß manche aus der Malklasse meine Ansicht nicht teilten, lag vermutlich daran, daß ich durch Herkunft und Alter Distanz zur gegenwärtigen Kulturgeschichte besaß. Zudem hatte ich einige Lebenserfahrungen gegenüber vielen Kollegen, die direkt vom Gymnasium an die Akademie kamen ohne jemals eine Reise, einen Job gemacht zu haben oder die Selbstverantwortung für das eigene Leben übernommen zu haben.

Im Gegenteil ich nahm war, wie unentbehrlich der fachliche Rat des Malersaal-Meisters für die verschiedensten Abteilungen der Akademie war, die ihn immer wieder nach dem richtigen Bindemittel oder der Beschaffenheit eines neu erworbenen Materials befragten. Dadurch kam es zum intensiven Austausch mit Dozenten und Professoren anderer Akademiebereiche, u.a. KH Sonderborg, von Stockhausen, Hubert Heinzel und Helmut Schultz, der ohne den strategischen Knotenpunkt des Malersaals nie zustande gekommen wäre. Alles in allem war der Malersaal ein Ort des anhaltenden Dialogs und bewirkte eine belebende Frische inmitten der akademischen Eintönigkeit.

Wie keine andere Räumlichkeit der Akademie ist der Malersaal unzertrennlich mit seiner Historie verknüpft. Durch zahlreiche Erzählungen der Werkstattleiter, darunter Egon Lustner lebte seine Geschichte wieder auf. Ich erfuhr, welche Studienziele der Malersaal einst verfolgte oder wie sich Lehrer und Studenten in der Nachkriegszeit viel für die Beschaffung von den notwendigen Materialien einfallen lassen mußten.

Mir wurde beschrieben wie Künstler, wie z.B. Willi Baumeister, Otto Dix oder Kurt Wehlte hier beschäftigt waren und wie sie unmittelbar zu der Tradition des Malersaals und der Akademie beitrugen, welche außergewöhnlichen Persönlichkeiten ein- und ausgingen und über die vielen, in heiterer Stimmung geführten Diskurse.

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