Frederick Bunsen
World in a World 2000, 53 cm x 78 cm, Eitempera auf Papier
Privat Sammlung
Die Frage ist nicht: "Wieviel Theorie braucht die Kunst?", sondern "Wieviel Theorie verträgt die Kunst?" Die Frage nach dem Theoriebedarf hat das 20. Jahrhundert überzeugend beantwortet.
Dabei beobachten wir zwei Ambitionen, nämlich eine Selbstversicherung der Kunst auf dem Weg zu einer neuen Funktion und die Kunst als ein wichtiges Objekt im Forschungsbereich "Visuelle Kommunikation". Das Impetus zur Selbstversicherung entstand aus der Trennung der Kunst von ihren früheren Funktionen schon im 19. Jahrhundert und mündete in selbstreferentielle Betrachtungen: Kunst machte sich selbst zum Objekt jenseits allgemeiner Aufgabenstellungen und mimetischer Praxis. Das "Wie" ersetzte das "Was".
Dabei ging es keineswegs um das Selbstreferentielle des Künstlers. Das ist ein weitverbreitetes Mißverständnis künstlerischer Praxis und bezeichnet gerade einen Bedarf an Theorie. Also nicht das Schrankenlose steht im Focus der Moderne: sondern das Eigentliche der Kunst, nämlich: sie selbst zu sein!
In das Interesse der Forschungen zur visuellen Kommunikation musste eine Kunst geraten, die begonnen hatte: das Mimetische zu verlassen: um zu einer reinen Kunst zu kommen. Die Qualität des Identifizierbaren schien aber nur sehr kurz ein Problem darzustellen. Schon in Kandinskys "Über das Geistige in der Kunst" wurde erkannt, dass Farbe und Form autonome Ausdrucksmittel der Kunst sind: zwar nicht als eindimensionale Steuerungselemente wirken, aber doch kalkulierbare Emotionen hervorrufen.
Zwar hat die Kunstpsychologie hier eigene Einsichten entwickelt und Barrieren für die Wahrnehmung ausgemacht. Aber diesem Umstand musste die Kunst nicht Rechnung tragen. Sie schlug einfach die Tür der Zugänglichkeit hinter sich zu und kontrollierte von Stund an den Zugang zu sich selbst, wobei es ihr gleichgültig blieb, wer an ihr partizipierte und warum. Das erklärte sie auch nicht zu ihrer Aufgabe, sondern stellte eine Lösung des Problems dem autonomen Betrachter anheim.
Damit bekam auch der kommunikative Prozess zwischen Werk und Betrachter Eigenart. In dem Maße, in dem diesem Prozess die bloße Betrachtung als Organon des Verstehens abhanden kam, geriet dieses Verstehen einerseits in die Krise und andererseits auf eine Metaebene gefühlvoller Begegnung, d.h. eines "Sich-im-Bild-Findens" des Betrachters. Das autonome Bild provozierte die Autonomie des Betrachters. Dabei gehen wir von einem anderen Grad des Autonomen aus: als er bisheriger Lesart entspricht. Die Theorien über die Wirkung von Form und Farbe suggerieren einen einigermaßen konstanten Reflex beim Betrachter. Das ist nicht so. Die persönlichen Randbedingungen des Betrachters lassen mehr zu als bloß seismographische Unterscheidungen: Das Bild wird unterschiedlich erlebt und gerade die Akzeptanz individueller Ideosynkrasien gibt der Formel Sinn, nämlich von einem "Schweigen der Farbe" zu sprechen.
Die Kunst des 20. Jahrhunderts musste lernen zu schweigen: um neu beredt zu werden. Das Redende hingegen überschwemmte das 20. Jahrhundert bis heute. Bildbotschaften dominieren längst alle anderen Kommunikationsvehikel.
Das nicht-mimetische Bild hält die Welt offen gegenüber dem Ansturm des Dinglichen. Dennoch ist es dem Dinglichen gelungen, das Potenzial der nichtmimeti-schen Kunst zu schwächen und zwar durch ihre massenhafte Verbreitung: Eine bemerkenswerte Variante zu "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" Walter Benjamins. Dadurch ist das Bild der Moderne zum Schweigen gebracht worden. Es kann nur noch dort existieren, wo der beredte schweigende Raum seine Rezeptionsvorgaben bewahrt. Wir stehen am Beginn einer neuen Kirchenkunst und diese Chance einer Erneue-rung sollte auch die Kirche selbst nutzen.
Frederick Bunsen erzählt uns also keine Geschichten. Sein Farben- und Formenrepertoire ist schweigsam in Bezug auf "lesbare" Botschaften. Auch Warhols Ambition - die ganz andere Quellen hatte - nämlich sein "Fill in your own signature" hat mit Bunsen nichts gemein. Bunsen meint nicht: "Fill in your own story", seine Ambition gilt Form und Farbe "an sich".
So gesehen wäre die einzige Legitimation das eigene Gegenübertreten zu Bunsens Werk zu veröffentlichen notwendigerweise begleitet vom Eingeständnis der Differenz von Werk und Betrachter und Allüre des Auguren, der seine Sicht für gültig erklärt und zu einem kategorischen Imperativ des Gemeinten stilisiert.
Mit der entscheidenden Einschränkung des Subjektiven kann ich von mir sagen, dass ich Bunsens Verbindung von freier und gebundener Form, freier und zielbewusster Farbverfügung, von Fläche und Tiefenraum: als dichotomischen Weltentwurf wahr nehme, als Abbildung der permanenten Auseinandersetzung von Geist und Materie, Logos und Chaos, Verzweiflung und Heilssicherheit. Bunsens Farben schweigen hinsichtlich einer Lösung in Richtung eines Richtigen, sind aber beredt in der Formulierung des Themas. Aber vielleicht wollen sie auch darin schweigsam sein und bleiben in einem stetigen Ringen mit dem Gebot unserer sinn-suchenden Annäherung.
Als ein Medium den Unterschied zwischen Werkexistenz und Wertrelevanz zu markieren, haben Bunsens Arbeiten ein Bedeutungsfeld sui generis erschlossen. Nur wenn wir aus uns heraus treten wird es uns geöffnet. So lange aber werden wir immer versuchen das Schweigen der Farbe durch unsere eigene Beredtheit zu leugnen.