Frederick Bunsen
Ohne Titel 1995, 100 cm x 100 cm Acryl auf Leinwand
Es gibt Erlebnisse, die kommen so gelegen und sind deshalb so schön, dass man sie eigentlich hätte erfinden müssen. In diesem Fall hebe ich die Hand zum Schwur - ohne Ableiten! - und versichere also an Eides statt, dass das nun zitierte Gespräch wirklich stattgefunden hat und zwar in diesem Raum und am vergangenen Montag während der Anlieferung der Werke Frederick Bunsens. Beteiligte Personen: Eine junge und keineswegs unattraktive Frau, sitzend, in wartender Haltung und ich, hin und her eilend und Bilder verbringend. Sie (mit Blick auf eine Arbeit): "Also das kann ich auch. Farben verschmieren. Das ist doch keine Kunst."
Ich habe sie angeschaut wie ein Fossil! Ist so viel Ignoranz denn heute noch möglich oder war das nur eine nette kleine Provokation? Ich (mit der Arbeit in beiden Händen, vollbremsend): "Sehen Sie das so? Wirklich?"
Sie: "Ja klar."
Ich: "Wissen Sie, was mir das sagt?"
Sie: "Nein, was denn?"
Ich: "Dass die Malerei des letzten und dieses Jahrhunderts völlig an Ihnen vorbei gegangen ist und das finde ich schade. Schade für Sie, denn dadurch entgeht Ihnen etwas Wichtiges."
Ich, weiter herum räumend, kehre dann nach einiger Zeit zur Wartenden zurück.
Ich: "Übrigens, wenn Sie das auch können, dann sollten Sie das unbedingt tun, denn dann können Sie Professorin werden und jede Arbeit für mehrere tausend Euro verkaufen."
Sie: "Echt?!"
Da alle, die mit Kunst zu tun haben einen mehr oder weniger messianischen Anspruch vertreten, habe ich am Montag sehr bedauert, dass nicht auch schon die Arbeiten von Egon Voll-Lichtenberg präsent waren, dem anderen gegenstandslosen Maler dieser Ausstellung. Denn dann hätte die junge Frau ein colloquium privatissime et gratis erhalten, dass noch ihren Enkeln in den Ohren geklungen hätte.
Wozu hätte ich denn die Arbeiten Voll-Lichtenbergs gebraucht? Und übrigens: Wieso soll er ein gegenstandsloser Maler sein, denn schließlich sind seine Arbeiten unschwer als Wolkengebilde identifizierbar? Nun ob Constable, Dahl, Blechen oder der eine oder andere Impressionist: Stets haben sie ihre Himmel nicht als Dokumentation gemalt, sondern als Träger von Stimmungen. Kunststück! Unsere eigene Stimmung variiert doch nicht unerheblich mit dem strahlend blauen, mit dem von Cumuluswolken gefüllten, mit dem trüben und dramatisch bewegten Himmel oder gar mit dem sternenübersäten oder geheimnisvoll schwarzbewölkten und mondbeschienenem Nachthimmel. Der Abstraktionsgrad von Wolkenbildern ist höchst variabel und kulminiert möglicherweise bei Rilke, wenn er schreibt:
"Zu Wladimir Lubowski kommt man nur durch seine Werke. Er raucht nämlich seine Bilder alle. Das ganze Atelier ist voll des phantastischen Qualmes. Du kannst von Glück reden, wenn du durch diese Urnebel auf dem kürzesten Wege zu dem alten abgenutzten Ruhebett gefunden hast, auf welchem Wladimir wohnt - tagaus, tagein."
Gewiss Wladimir der Wolkenmaler ist ein Extremfall, aber auch er reiht sich ein in die stimmungsmachenden oder stimmungswiedergebenden Künstler, die auf eine tumbe Personenstaffage verzichten, um damit WAS zeigen zu können: WAS zeigen sie denn? Sie zeigen, dass es wesentliche Bereiche gibt, in denen das Gefühl dominiert, in denen sich ein unmittelbares Erkennen einstellt, wenn wir nur schauen und dabei sehen.
"Schauen" und "sehen" zu unterscheiden bedeutet, dem "Schauen" bloß die Qualität eines Aktes zuzuerkennen und dem "Sehen" das "Erkennen".
Unserer eingangs erwähnten Kunstbanausin hätte man damit etwas verdeutlichen können, nämlich ihr Verharren im Vertrauten. Mit den Wolkenbildern hätte sie vermutlich keine Probleme gehabt, außer vielleicht einem: "Warum malt der Wolken"? Aber ein "Weil er damit Stimmungen transportiert" hätte das leicht aufgefangen oder ein Stückchen weiter gehend ein: "Weil wir mit Archetypen etwas anfangen können und seien wir noch so verstockt".
Voll-Lichtenberg hat Stimmungen gemalt und vielleicht auch etwas von der Schönheit der Schöpfung fest gehalten und vor dem Vergehen retten wollen. Selbst ein religiöser Impetus wäre denkbar, aber das hat ja schon die barocke Illusionsmalerei mit ihren himmlischen Tiefenräumen geleistet. Möglicherweise hat der Künstler auch eine eigene glückliche Stimmung festhalten wollen, verständlich, wenn man sein Gesamtwerk kennt, das auch tief gefühlte dramatische Personenstaffagen kennt.
Möchte man eine Arbeit heraus heben, dann sicherlich eine dunkelgrundige mit Lasurtiefe in der ein rötlicher Schein glimmt und aus der eine Tiefe spricht, die über die landschaftlichen Anklänge, über autobiographische Notizen (der Künstler im Bild den Himmel betrachtend) und über seine phantastische Lichtregie in den anderen Arbeiten noch hinausreicht.
Die vorwiegend gestische Malerei Frederick Bunsens ist ohne Emotion nicht möglich. Die Schwingungen seiner Malgestik, seine Farbwahl kommen vor allem aus der Seele. Nun dem Vernehmen nach hat jeder eine Seele, aber deshalb kann längst nicht jeder seinen Seelenzustand auch malen. Malerei ist Organisation von Farbe und Form zum Bild.
Nur am Rande: Malerei kann auch Desorganisation von Form und Farbe sein, wie beim großartigen Emilio Vedova, um nämlich aller Bilderzählung auszuweichen. Gezielte Desorganisation ist dann aber eine höchst intensive Form von Organisation, womit wir sie als nur scheinbar abweichend entlarvt haben.
Die Bilder von Frederick Bunsen sind höchst organisiert. Wir können das in dieser Ausstellung besonders leicht erkennen, weil er uns eine Serie über das Thema "Rosa" mitgebracht hat. "Rosa" sind die "Rosa Zeiten", "Rosa" kann die Morgendämmerung sein und genauso der zarte Übergang vom leuchtenden Abendrot über Orange in ein nächtliches Blau. "Rosa" ist aber auch eine gefährliche Farbe, weil sie nach Konfekt schmeckt, nach Schleifchen an aufgezwungenen Kinderkleidern der Vergangenheit und an rokokoeske Leichtfertigkeit.
Frederick Bunsen rettet der rosa Farbe ihre Integrität. Er bringt sie in Bewegung: in kreisende und Raumkompartimente bildende und er wirft sie in Schlachten mit Schwarz und Rot. Das so bedrohte Rosa bekommt etwas heilig Verklärendes, entwickelt ein Selbstbewusstsein, indem es seine Schwäche, seine Zartheit annimmt und gegen das Andrängende besteht.
Es geht auch anders. Anders geht es in Bunsens Bildern, in denen ein nachtmarisches Schwarz dominiert, in denen er eine erste Indienstnahme der Fläche durch leuchtende Farben zerstört, ausstreicht, vernichtet, Besiegte und Sieger klar voneinander trennt.
Gegenstandslos ist ja nicht bedeutungslos, sondern ganz im Gegenteil ein Transportmittel für Botschaften, die vielleicht wichtiger sind, als es die Abbildung "König Ludwig füttert die Schwäne auf dem Alpsee" je sein wird.
Die Malerei Bunsens verlangt ein vollständiges Ausschöpfen der Empfindungen des sie erschaffenden Künstlers und eine souveräne Umsetzung aller jener internalisierten Normen, die in einem Künstlerleben erfahren werden können.
Bei Bunsen kommt noch ein ganz entscheidendes "Mehr" hinzu, nämlich die philosophisch begründete Reflexion des Künstlers über sein Tun. Nicht von ungefähr haben sich seine Wege mit denen Niklas Luhmanns vielfach gekreuzt und sind beiderseits auslösend für weiter führende Erkenntnisse gewesen. Deshalb finden sich auch in den Arbeiten Bunsens immer wieder strengste Lineaturen, die ein Organon der Kritik gegenüber allem bloß Gefühlvollen sind und Emotion und Ratio zusammen bringen. Hier, in der Tiefe des Zugangs, liegt das Eigentliche seiner Kunst und eine Eigenständigkeit, die seine Position im informellen oder abstrakt-expressiven oder lyrisch-abstrakten Stil begründen.
Sein größtes hier gezeigtes Format hat etwa das einer Tür, hat nicht nur dieses Format, sondern ist eine Tür, eine Eintrittstür in eine Welt, die ihre eigene Sprache hat, in der sich eigene Gefühle ausdrücken und in der eine eigene Ordnung besteht. Betreten erlaubt!
All dies hätte ich gerne jener jungen Frau erzählt, damit sie beim Schauen weniger verweigert und dadurch mehr sieht.
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