Prof. Dr. Helge Bathelt bei der Einführung der Ausstellung Bunsens in der Stiftskirche Herrenberg 2009.
Niemandem von uns ist es neu, dass wir in Bildern sprechen. Wir sprechen sogar sehr oft in Bildern. Unsere Sprachbilder dienen der Anschauung. "Der steht da wie ein Kalb". Sofort haben wir eine Vorstellung, ohne dass wir eigens von Ungeschicklichkeit, Ungelenkigkeit oder gar Dummheit sprechen müssten. Dabei merken wir, dass Sprachbilder offensichtlich geeignet sind, komplexe Inhalte zu verdichten. Wir wissen sofort, um was es geht. Keineswegs müssen wir mit unseren Sprachbildern im Tierreich verbleiben. Wenn wir von einer "blauen Stunde" sprechen, wissen wir sofort, dass damit keineswegs eine reichliche Alkoholisierung gemeint ist. Wenn wir "Rot" sehen, dann meinen wir damit in der Regel kein Mohnfeld, sondern so etwas wie reichliche Wut mit einer starken Tendenz zur Aggression. Mit etwas "Schwarz" sehen treffen wir ebenso eine klar umrissene Haltung. Wenn wir zusätzlich an die Zwiesprache von Musik und Wort denken, dann erkennen wir vollends, wie bilderreich unsere Sprache ist.
Kein Wunder also, dass sich irgendwann einmal auch eine Kunst heraus gebildet hat, die unsere Sprache in sich selbst übersetzt hat, nämlich in Bilder. Nun gibt es solche Kunstbilder, die wir sofort zu verstehen meinen, weil wir etwas erkennen können. Da füttert König Ludwig die Schwäne auf dem Alpsee, da sehen wir eine Meerlandschaft aus Eis und dort erkennen wir sofort, dass Christus gemeint ist, der ans Kreuz genagelt wurde.
In vielen Bildern gibt es aber auch Geheimnisse die dort spannend werden, wo das direkte Erkennen aufhört. Die Mona Lisa besticht nicht dadurch, dass sie eine versonnen lächelnde Dame aus einer ferner Zeit ist, sondern durch etwas, was kluge Leute als das "Sfumato" bei Leonardo bezeichnet haben.
Es gibt bei der Bildbetrachtung also zwei Ebenen, nämlich die der gegenständlichen Identifizierung und die einer ganz eigenartigen Verschlüsselung, die ein Anderes meint als das bloß sichtbare.
Auch wenn wir gerade wieder einmal in einer Phase sind, die das Sichtbare am Gegenstand fest macht und uns sogar seine Bedeutung recht nahe legt oder ganz auf eine Bedeutung verzichten möchte, finden wir vor dieser Phase und neben ihr eine Kunst, die mit der reinen Bedeutung arbeitet, nicht mimetisch ist - d.h. etwas konkret erzählt - sondern die auf die unverfälschte Wirkung von Farbe und Form baut. Diese Kunst bezeichnen wir als gegenstandslos oder - im Volksmund - als Abstrakt und selbst heute noch verwirrt sie viele Menschen, weil sie nach etwas Sichtbarem suchen, ohne zu erkennen, dass auch diese Kunst nicht außerhalb der Welt ist, weil nämlich in ihr Schwarz Schwarz bleibt und Rot bleibt Rot, Bewegung bleibt Bewegung , Statik bleibt Statik, Dynamik bleibt Dynamik und all dies darf das bleiben, was es ist und braucht keinen einzigen Gegenstand dazu.
Natürlich gibt es auch eine schlechte Kunst, nämlich eine, die Farbe nicht Farbe sein lässt, Form nicht Form, Ruhe nicht Ruhe und Bewegung nicht Bewegung. So etwas nennt man dann zwar auch - im Volksmund - "abstrakte Kunst", kann aber dabei das Wort "Kunst" getrost weg lassen.
Warum aber überhaupt Abstraktion? Darauf gibt es eine ganz einfache Antwort: Ich muss nicht Daniel Düsentrieb darstellen, dem in einer Gedankenblase ein Licht aufgeht. Ich könnte eben dieses Bild auch durch einen Wechsel von Hell zu Dunkel ausdrücken und es wäre doch genau derselbe Inhalt.
Nun hat Frederick Bunsen uns Bilder zur Passion mitgebracht. Sie werden hier in unserer Kirche zur passenden Zeit gezeigt und wir wollen nur mal so prüfen, ob sie mit der Passion Christi etwas zu tun haben oder bloß wirre Farben auf Leinwand oder Plexiglas sind.
Um hier zu einer Entscheidung zu kommen hilft uns erstaunlicher Weise ausgerechnet die traditionelle Malerei. Ich kenne keine einzige Kreuzigungsszenerie in der gesamten Kunstgeschichte mit blauem Himmel, blühenden Bäumen, warmer Sonneneinstrahlung, fröhlichen Menschen und Jahrmarktscharakter. Dabei können wir nicht einmal ausschließen, dass das tatsächliche Ereignis erst mal Jahrmarktscharakter hatte, Menschen sind halt so, können sich über Gladiatoren freuen, über Hinrichtungen und über Fouls beim Fußball. Dennoch stellt keine mir bekannte Darstellung einen solchen Widerspruch als Bild der Passion dar. Passion ist immer düster, blutschwer, kontrastreich, dramatisch eben und zwar genauso so, wie wir es der Situation angemessen finden.
Angemessenheit lässt aber offensichtlich Möglichkeiten offen. Inhalt ist machbar ohne dass wir uns des Gegenstandes als Transportmittel bedienen. Farbe alleine bedeutet, Linie alleine bedeutet, Dynamik und Raum jeweils bedeuten.
Warum aber auf den Gegenstand als anerkanntes Transportmittel verzichten? Nun, dabei geht es um die Unterscheidung zwischen "es ist" und "es bedeutet". Existenz alleine bezieht sich auf Geschehen, Bedeutung aber stellt sich selbst in den Mittelpunkt.
Ist das Kreuz wichtig oder ist es das Leiden? Ist das Blut wichtig oder ist es das Opfer? Ist der Tod wichtig oder ist es die Verheißung?
Es geht nun nicht darum, was ist, sondern darum, was es bedeutet.
Oben auf der Pfalzgrafenempore gibt es ein Triptychon von Professor Bunsen, das sein Farbrepertoire extrem begrenzt. Die linke Tafel kennt nur Hell und Dunkel, Chaos und Logos. Die mittlere Tafel beschränkt sich auf Rot und Schwarz und lebt durch ihren dramatischen Vortrag. Die dritte Tafel bringt neben einem sinkenden Schwarz ein blasses Blau hervor.
Soll mir niemand erzählen, dass er oder sie angesichts dieses Triptychons nicht wüsste, was hier dargestellt wird, denn das wäre reine und absichtliche Verweigerung. Frederick Bunsen hat eine klare und unmissverstehbare Bildsprache gewählt. Schwarz steht für das Schicksal und den Tod. Rot ist das Blut und das Sterben, Schwarz ist das Elend und ein Licht werdendes Blau die Hoffnung auf Erlösung.
Die Bildbotschaft gilt der Botschaft selbst. Es wird nicht nacherzählt, umschrieben und in erfundenen Bildern repräsentiert, sondern es wird auf die Substanz des Geschehens hin verdichtet. Aus dem Narrativen wird das Geistige, aus dem Konkreten der Inhalt und aus dem Plakativen das Eigentliche.
Diese Wandlung dürfen wir als eine vom Materiellen zum Geistigen bezeichnen. "In bunten Bildern wenig Wahrheit" und im Einfachen dann doch die Klarheit: Ein sehr evangelisch-geistiger Zugang zur Wahrheit. Keine Überredungs- und Überzeugungskunst, sondern die Markierung der entscheidenden Position. Ratgeb hätte heute so gearbeitet wie Bunsen. Warum sollten wir uns das nicht plausibel finden?