Straße von Stuttgart 1986, Acryl auf Papier
Sammlung LB Bank Stuttgart
Erwiderung von N. Forstbauer auf Artikel des Künstlers Frederick Bunsen erschienen in der deutschen Kunstzeitschrift, ZYMA Nr. 3/1985, und Gegenargumente auf die Position des Forstbauers von dem deutschen Philosophen Karl-Heinz Minz, betreffend Forstbauers "selbsterfüllende Prophezeiung".
• Gegenargumente Dr. Karl-Heinz MinzIn seinem Artikel greift der Künstler Frederick Bunsen den Kunstmarkt - der ihm das überleben als Künstler sichert - und die Kunstkritik - die ihm die nötige Marktpublizität verschafft - an. Bunsen sieht die Gefahr eines Dreiecks, in dem der Künstler schließlich nach dem Diktat von Markt und Kritik arbeitet, sich somit prostituiert. Die Entdeckung eines Künstlers durch die Kritik verhindert seiner Meinung nach eine weitere Entwicklung. Ein interessanter Ansatz, den Bunsen auf Seite 20, Abschnitt 3, aber verlaßt, um zu einem unqualifizierten Rundschlag gegen Kunstkritik und Künstlerkollegen auszuholen. Er geht dabei sowohl auf das Feuilleton der Stuttgarter Zeitung" und der "Stuttgarter Nachrichten" ein, als auch auf das Buch des Stuttgarter Kunstkritikers Günther Wirth. Er tut dies in einer sachlich unrichtigen Form und mittels unwahrer Behauptungen.
1. Die Feuilleton-Redakteure und die freien Mitarbeiter sehen sieh als Vertreter jener, im allgemeinen Zeitungswesen ausgestorbenen Journalisten, die in der Schreibart und Inhalt einen grundlegenden Gegenpol zum Angepaßten bilden. Nicht - wie in Abschnitt 4 behauptet - "für den Konzeptrahmen" schreiben sie, sondern in erster Linie für die Künstler.
2. die Feuilleton-Redakteure und die freien Mitarbeiter können sich die Künstler auch, wenn sie sie für entwicklungsfähig hielten - nicht aussuchen. Sind die Redakteure allein an die Aktualität gebunden, schreiben die freien Mitarbeiter nur auf deren Weisung. Wenn es denn eine "selbstauferlegte Aufgabe" (Abschnitt 5) gibt, dann die, die selbsterlebte, visuelle Faszination Kunst mit Worten auszudrücken.
3. Bunsen stellt die Käufer als kleine Unternehmer dar, die Bilder und Plastiken in der Absicht kaufen, sie mit "Profit" (Abschnitt 6) wieder abzugeben. In ihrer Wahl werden sie seiner Meinung nach von den Zeitungsartikeln bestärkt oder abgeschreckt. Ersteres ist eine ungeheuere Abwerfung der zahllosen kleinen Sammler oder gar derer, die - oft tatsächlich unter finanziellen Kraftakten - sich spontan oder langfristig für den Kauf von einem Bild oder einer Plastik entscheiden. Zweiteres stellt sich als offensichtlich unwahr heraus, wenn man die Marktentwicklung der sogenannten "Jungen Wilden" mit den Zeitungspublikationen vergleicht.
4. Bunsen geht dann in unglaublich oberflächlicher Weise auf das Buch "Kunst im Deutschen Südwesten / Von 1945 bis zur Gegenwart" ein. Der letzte Satz des Abschnittes 6 bringt die sachliche Unrichtigkeit deutlich zum Ausdruck ("Das Werk ist...zu verschaffen"). Das Werk wird als "Katalog" dargestellt, obgleich es die historische Entwicklung seit Kriegsende nachzu-zeichnen versucht. Es ist die Rede von "Stuttgarter Künstlern", wohin gegen Günther Wirth in seinem Buch auch auf Dix, Heckel, Bissier, Meistermann, Schumacher Alfred Hrdlicka, K. H. Sonderborg, Horst Antes, Walter Stöhrer, Baselitz, Kiefer und andere eingeht, die sowohl die Main-Linie, als auch die Grenzen des Kontinents überschritten haben. In ironischer Weise geht Bunsen dann auf die Bedeutung des Buches ein. Bei genauerer überprüfung hätte er feststellen können, daß das Buch schon jetzt an Akademien und Schulen verwandt wird und im Handel vergriffen ist. Der subjektive Katalog erfreut sich also objektiver Nachfrage.
5. Im siebten Abschnitt geht Bunsen dann näher auf das Buch ein und findet den Weg zurück zu seinem Anliegen, die Verbindung von Kunst und Kritik aufzuzeigen. Er suggeriert dem Leser noch einmal, das Buch beschreibe in Katalogform den Ist-Zustand; wenn er schreibt: "Durch dieses Opus von Wirth hat sich der Kapitalanlagewert für Bilder eines dieser jungen, sonst relativ unbekannten Künstler deutlich erhöht". Abgesehen davon, daß die als Beispiele genannten Namen die Aussage ad Absurdum führen, zeichnet es Bunsen nicht besonders aus, wenn er dem Leser einen Brocken hinschmeißt, den dieser zwar schlucken, aber nicht verdauen kann. Den Namen dieses einen erfährt der Leser nicht, der Satz bleibt eine inhaltlich falsche Behauptung. Die inzwischen erreichte Verkaufssituation des ungenannten Künstlers nimmt Bunsen als Beweis für seine Symbiose-Theorie und die ironisierte geniale Auswahl Wirths. über die Auswahl eines solchen Werkes läßt sich sicher viel streiten, doch eine überprüfung kann es nur im Vergleich mit anderen Arbeiten geben. Bunsen unterschlägt, daß es sich bei "Kunst im Deutschen Südwesten..." um ein Erst und damit einzigartiges Unternehmen handelt.
6. Im achten Abschnitt schreibt Bunsen, daß "aus Kunstinhalt und Künstlerprofil Wahrheiten im Sinne anderer Herren subjektiv geformt verformt werden.` Hiermit suggeriert er dem Leser, daß es zwischen Künstler und Kritiker keine Auseinandersetzungen gibt, daß die Artikel Ergebnis von Arbeiten sind, die sich weder mit der Person, noch mit dem Werk eines Künstlers bewußt auseinandergesetzt haben. Dabei ignoriert er bewußt den jahrelangen freundschaftlichen Kontakt, der gerade Günther Wirth mit zahlreichen Künstlern verbindet. Erst die persönliche Erfahrung des Werkes, Galeriegespräche, Atelierbesuche und Werkbesprechungen ermöglichen es dem Kritiker, sich eine eigene Vorstellung zu schaffen.
7. Bunsens Ansicht nach soll man sich zunächst ein visuelles, eigenes Bild von der Kunst machen, das nicht durch eine schriftlich aufgearbeitete Einseitigkeit gestört wird. In Abschnitt 9 sieht er die Verhinderung dieser Möglichkeit als beabsichtigte Sperre durch die "Markt-Welt' Er läßt dabei völlig außer Acht, daß es gerade das Fehlen eines eigenen Medienapparates ist, was den Dornröschen-Schlaf der Stuttgarter Kunstszene verantwortet. Bunsen übersieht auch großzügig, daß es gerade die jungen Künstler aus dieser Isolation herauszieht nach München, Düsseldorf oder Berlin. Und wenn sich "Sein in Haben pervertiert" hat, hoffe ich doch, daß Bunsen selbst nicht mehr bezahlt werden will für seine Ware Kunst und sich auch offiziell von Markt und Kritik verabschiedet.
8. Als entbehrlich beschreibt Bunsen die Kunstkritik an sich in den letzten Abschnitten. Zwar ist die Kunst ohne die Kritik "nicht kalkulierbar" und kann manches Mißverständnis auslösen, doch erst die Kritik "paralysiert sie in ihrem kritischen Impuls". Dabei ignoriert Bunsen bewußt, daß die Kritik zu allen Zeiten zur Konfrontation mit dem optischen und geistigen Erlebnis Kunst aufgerufen hat, und sich Weiterentwicklungen oft durch den Widerstand weniger Kritiker gegen die jeweils herrschende Marktrichtung ergaben. Gerade das Ausschalten der Kritiker ermöglichte ja erst die Zerstörung der freien Kunst durch die Nationalsozialisten.
9. Im letzten Abschnitt offenbart sich Bunsen als durchaus traditionell verhaftet, wenn er die handwerkliche Qualität als Grundlage für die künstlerische Qualität bezeichnet. Ebensowenig wie im letzten Satz bringt er neue Ideen, neue Ansätze für eine Kunstkritik, die er einen Abschnitt vorher schon als völlig überflüssig behandelt hat. Der Abschluß aber, daß die Kunstkritik sich davor hüten solle "ein Urteilsrichter oder gar ein Schützer der Kunstwirklichkeit zu sein", greift insofern ins Leere, als dies das Selbstverständnis der Kritiker gar nicht trifft. Dies besteht doch vielmehr darin, einem möglichen Betrachter die Information zu geben, X stellt in Y aus, und ihn mit seiner Meinung zu konfrontieren. Aus der Gegenüberstellung ergibt sich der Rückbezug Betrachter - Kritiker, der einen Artikel zur Diskussionsplattform werden läßt.
überprüft werden Stil und inhaltliche Aussage ebenso wie die Frage, ob sich zwischen Artikel und Bild Anknüpfungspunkte ergeben. Die Frage, warum etwas so oder so gemalt wurde, zieht die Anschlußfrage nach , warum dies so oder so beschrieben wurde. übrigens ist gerade die "Stuttgarter Zeitung" reich an unterschiedlichen So ergibt sich für mich in Frederick Bunsens Aufsatz ein Ansatzfehler: er lehnt die Kunstkritik in der Substanz und in ihrer Form ab, anstatt der Form eine neue Sub-stanz zum Beispiel in der Art zu geben, eine gleichberechtigte Auseinandersetzung zwischen Künstler, Journalist und Betrachter zu fordern. Die rein beschreibende Kritik ist doch auch das Ergebnis des freiwilligen Isolationismus, in den sich die Künstler in den letzten Jahren begeben haben - vor allem auch untereinander. Zu fordern wäre doch - auch um die Gedanken von Frederick Bunsen näher beleuchten zu können - ein sehr viel breiteres Spektrum, eine sehr viel breitere Plattform, auf der das Kunstbewußtsein in der Gesellschaft verankert wird. Dabei sollte man auf die Zeitungsredaktionen nicht verzichten.
NIKOLAI FORSTBAUER
Counter-response by Dr. Karl-Heinz Minz to commentary of Nikolai Forstbauer.
An die Redaktion Feuilleton ZYMAEs wird von F. übersehen, daß die "Kritik" hier Kunst nicht entdeckt, sondern vermarktet (cf. dazu die kritischen Beiträge von Eduard Beaucamp in der F.A.Z.). Ferner sind diese Marketingstrategien in der wissenschaftlichen Literatur und auch in den Zeitungen zahlreich belegt. Bunsens Behauptungen sind daher nachweislich (!) wahr.
ad 3) Ein Blick in die Auktions- und Verkaufsangebote der überregionalen Zeitungen (z.B. Handelsblatt) hätte F. in Bezug auf die „altruistische" Haltung eines heutigen Sammlers korrigieren müssen.
ad 4) Der besagte Katalog erfreut sich vermutlich manipulierter (s.o.) objektiver Nachfrage.
ad 5) „geniale Auswahl" Wirths ist wohl eine Art euphemistischer selffullfilling prophecy resp. eine Immunisierungsstrategie als Autoverifikation. (Zur Orthographie: es muß richtig heißen „ad absurdum").
ad 7) Eben! Medienapparat ist Vertrieb, PR Werbung etc., nicht jedoch Kritik im Sinne einer Philosophie der Kunst (cf. bei Gadamer et al.). Gleiches gilt in bezug auf Punkt 8. Wie sagte schon Luther zutreffend: Aequivocatio est mater errorum...
ad 9) Bunsen bringt via negationis sehr viel und qualitativ Neues, insofern er "Kritik" als ein krínein im wahren Bedeutungssinn ernstnimmt und in die Diskussion einbringt. Von daher bejaht er vollinhaltlich die "Kunstkritik in der Substanz" (was F. leider nicht tut), kommuniziert also mit Kunstwerk, Kunstrezipient und Welt der Kunst (im Sinne Heideggers), überwindet gerade in diesem reflexen Lebensvollzug jeden Isolationismus, und läßt Sinn wieder lebendig und mitteilbar werden (s. Text AKMAK Berlin 1984).
In summa: Diese Leserzuschrift von Forstbauer bestätigt von ihrer Un-Logik her genau das, was Bunsen in die Diskussion um Kunst eingebracht hat.
Mit freundlichen Grüßen,