Zur Kunst von Frederick Bunsen und Dieter Kränzlein

Johannes Fuchs, Waiblingen, 16. Juni 2005

Frederick Bunsen

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Bilder in Privat Sammlungen
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Gemalte Lebensstriche

Eröffnungsrede des Landrats Johannes Fuchs in der Kanzleiräume von Randow-Kühn-Fischer-Renk, Waiblingen


Der französische Maler Georges Braque beschrieb die Bedeutung der Kunst mit folgenden Worten: "Die Kunst gibt der Welt Schwingen"
Ich glaube, damit hat er nicht ganz unrecht, denn die Kunst ist schöpferische Quelle und Inspiration unseres Gemeinschaftslebens. Sie fordert unsere Zukunftsfähigkeit, da sie das Experiment liebt und in spielerischen Elementen keine Zeitvergeudung sieht, sondern das notwendige Herantasten an neue Erkenntnisse und Erfahrung. Die Kunst ist ein Indikator für die Fähigkeit eines Landes, fantasievoll und kreativ zu handeln. Dabei registriert die Kunst gesellschaftliche Entwicklungen häufig mit der Genauigkeit eines Seismographen.
Ich bezweifle deshalb, dass jemand ein guter Naturwissenschaftler oder Jurist sein kann ohne sich auch von der Auseinandersetzung mit der Kunst steuern und korrigieren zu lassen. Deshalb müssen unsere Sensoren für die Kunst immer wieder geschult und neu ausgerichtet werden. Eine Kunstausstellung anlässlich einer Kanzleieinweihung wie heute, ist so gesehen nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern ein Beitrag zur Erkenntnisfindung und Lebenserfahrung.
Zu sehen sind Werke des aus Texas stammenden Malers Frederik Bunsen und des Bildhauers Dieter Kränzlein. Beide vom Metier her zunächst ganz unterschiedliche Künstler, beim genauen Hinsehen entdecken wir jedoch auch viele Gemeinsamkeiten weshalb auch die Bilder von Bunsen bei dieser Ausstellung in einen spannungsreichen Dialog zu den Steinskulpturen von Dieter Kränzlein treten und so den zusätzlichen Reiz dieser Ausstellung bestimmen. So wie der amerikanische Maler und Grafiker Bunsen 1973 im Rahmen eines Austauschprogramms seiner Universität die Grenzen seines Landes überschritt und sich in Stuttgart ansiedelte, geht seine abstrakte Kunst in ihrer Tiefenräumlichkeit weit über Begrenztes, über das Messbare hinaus.
Gestisch gemalte Lebensstriche, die er flächendeckend bündelt oder transparent gestaltet, bilden diese Räume, in denen sich seine Grenzerfahrung wiederspiegelt. Bunsens grenzüberschreitende Lebensweise blieb auch weiterhin für ihn bestimmend, hielt er sich doch nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" in Tschechien, Polen und Ungarn auf und übernahm in den letzten 4 Jahren eine Professur an der Universität für Kunst und Design in Klausenburg in Rumänien. Durch dieses Unterwegssein begreift er seinen eigenen Lebensweg und sich viel besser.
Der Lebensweg des Künstlers lässt sich in seiner Malerei an den sich kreuzenden und verdichtenden Strichen ablesen. In ihrer Grenzenlosigkeit und Offenheit geht sie über das Diesseits hinaus ins Transzendentale und bedeutet zugleich die Freiheit vom Selbst.
Transzendenz ist eines der Lieblingsworte Bunsen: wenn er von seinen Werken spricht. Und auch wenn dieses Wort an Religion und Theologie erinnert, hat es doch sehr mit dieser Welt zu tun. Bunsen beschreibt damit einen Überschreitungsprozess der nach Versöhnung mit sich und dem eigenen Fremden, aber auch mit anderen Fremden strebt. Und so reflektierend gelangt er zu sich selbst und ist vor die Frage gestellt, was er selbst denn weiß über das Zentrum seiner Handlungen, seiner Träume und seiner Ängste. Überraschend bei den heute gezeigten Bildern ist für mich, dass die Farben fröhlicher sind als bisher. Liegt es vielleicht daran, dass Bunsen bei aller Krise um ihn herum auch Hoffnung sieht, Freude empfindet und einen Weg erkennt?
Dieter Kränzleins Auseinandersetzung mit den Materialeigenschaften des Muschelkalksteins führt in einen energiegeladenen und strapazierenden Schaffensprozess in den körperhaften Plastiken, die in Form und Material unserer gegenständlichen Realität entgegenstehen, ja sich gerade zu sich ihr widersetzen. Kränzlein bedient sich einer bildhauerischen Sprache, die vom Ballast der gegenständlichen Welt befreit ist und liegt damit ganz nah bei Frederik Bunsen. Auch ihm geht es nicht um die Abbildung der sichtbaren Wirklichkeit, sondern um eine Welt mit eigener Zeichenhaftigkeit. Den Werken Kränzlein ist der Prozess der Entstehung, und der geistigen Beschäftigung deutlich anzumerken. Die aus Muschelkalk mit der Flex herausgesägten Skulpturen sind zum Markenzeichen des Bildhauers geworden. Dabei ist der Weg das Ziel, die Wechselwirkung von Form und Struktur, wie das eine aus dem anderen entsteht und sich bedingt.
Kränzleins Werke sind Darstellung seiner inneren Auseinandersetzung auf handwerklich und künstlerischem hohem Niveau. Beide Künstler sind so ein Beispiel wie die Kunst helfen kann, dem Chaos außerhalb und innerhalb des Menschens Herr zu werden. Das verwirrende Unheimliche und Unfassbare des Lebens kann nämlich nur geordnet und überwunden werden, indem es Formen und Regeln erhält. Kunst hilft durch diese Formgebung des Ungeordneten mit, die Bedrohung durch das Chaos hinter sich zu lassen.
Seit prähistorischer Zeit diente künstlerische Tätigkeit der Interpretation der Welt und des Menschens in der Welt. Das erste, was uns Menschen nach den einfachsten Werkzeugen hinterlassen haben, lange bevor es Architektur, Musik und Literatur gab, waren nämlich Malereien und Skulpturen. Mit ihnen fängt die eigentliche Menschheitsgeschichte und die Kulturgeschichte an.
Dies zeigt, welche Bedeutung die Kunst für die Entwicklung unserer Gesellschaft schon immer gehabt hat. Kunst und Künstler bahnten durch ihr Arbeiten immer wieder neuen Ideen den Weg und haben damit den nächsten Entwicklungsschritt der Gesellschaft vorbereitet und begleitet.
Bis heute ist die Kunst das Kraftfeld unserer Kreativität. In der Auseinandersetzung mit der Kunst lernen wir unsere Subjektivität auszuprägen, unsere innere Vielfalt zu erweitern und unsere geistige Unabhängigkeit zu erlangen. Wir trainieren unsere Wahrnehmungsfähigkeit, schulen die emotionale Intelligenz ebenso wie das Vermögen über plurale Weltsichten nachzudenken und mit kulturellen Differenzen produktiv umzugehen. In diesem Sinne darf ich Ihnen beim Gang durch die Ausstellung und der Diskussion um die Werke viele Erkenntnisse und gute Gespräche wünschen.

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