Frederick Bunsen
Ohne Titel 1992
112 cm x 90 cm, Acryl auf Büttenpapier
Die Gemälde von Frederick Bunsen versperren sich einem Blick, der nach wiedererkennbaren Wahrnehmungsgegenständen sucht, nicht von vornherein. Der Künstler läßt es zu, provoziert es häufig sogar explizit, daß seine Gemälde Assoziationen erwecken, daß sie gegenständliche Anspielungen enthalten. Er benutzt markante Umrisse (z.B. Totenschädel) als beherrschende Formen. Daß die Bilder meistens auf Landschaften verweisen, auf vom Menschen geprägte industrielle und städtische Gebiete genauso wie auf natürliche Landschaften, hängt damit zusammen, daß die gegenständlichen Momente nur sekundäre, erweiternde und hinzutretende Aspekte in der Wahrnehmung der Gemälde sein sollen.
Die Aufmerksamkeit des Betrachters und die Ausrichtung seiner Wahrnehmung soll nicht auf bestimmte erkennbare Objekte festgelegt werden, sondern soll vor allem daran gehindert werden, nur eine bemalte Flache zu sehen, nur eine flächige Ordnung von Strichen und Farben wahrzunehmen. Die komplexe Tiefenräumlichkeit der Landschaft, in der die Gegenstände mehrdeutig werden, da sich die Dimensionen vom Vordergrund bis an den Horizont ununterbrochen verschieben, wird zum Modell der Wahrnehmung der Bildräumlichkeit.
Denn was in diesen Gemälden zuerst einmal sichtbar ist, sind Spuren der Tätigkeit der Hand: mit dem Pinsel gezogene gerade oder geschwungene Linien; der Abdruck von in Farbe getauchten Leisten; unlesbare, aber schriftähnliche Kreideskripturen; großflachige Verwischungen, die durch in Binder eingestreute Pigmente eine delikate Farbigkeit annehmen. Diese unterschiedlichen Einsätze werden so benutzt, daß sie sich optisch staffeln und eine widersprüchliche Bildräumlichkeit und Bildtiefe ergeben, die sich nicht logisch konstruieren läßt. In einem mathematischen Raum nicht faßbar spannt sich eine alogische Bildräumlichkeit zwischen wolkigen, jede Artikulation auflösenden Farbflecken bzw. dicken, pastösen Strichen im Hintergrund und einem Vordergrund aus dünnen Liniengeflechten bzw. einer freien, unlesbaren Skripturalitat, die das Bild als Schriftfläche zu benutzen und zugleich zum Vordergrund zu gehören scheint. Die einzelnen Schichten, die aus sehr unterschiedlichen Linien oder Strichen bestehen, verflechten sich jedoch, verschmelzen teilweise ganz, so daß eine präzise Unterscheidung von Schichten unmöglich wird: ihre Situierung in der Tiefe ändert sich ununterbrochen, die Abstände schwanken, die Schichten gehen ineinander über, ohne daß der Bildraum sich zur Bildfläche oder zu einer Oberfläche zusammenziehen würde.
Die scheinbare Schichtung der Bildräumlichkeit, der Effekt der Tiefe, beruht zu einem großen Teil darauf, das Frederick Bunsen gestische Expressivität der Linien vermeidet. Die starken Verwischungen und Vermalungen seiner Hintergrunde, der Gebrauch von Holzleisten, und langgezogene, gerade Linien erschwerden die Wahrnehmung von psychisch-physischem Ausdruck. Eine expressive Einfühlung in eine Hand, die psychische Energien und Emotionen zur Erscheinung bringt, wird unterlaufen, wo sensibler Strich beseitigt, Artikulation aufgelöst wird. Umgekehrt jedoch gewinnen die Gemälde dadurch an diagrammatischer Suggestivität: sie scheinen objektive Energien aufzuzeichnen oder Stratographien festzuhalten; sie gewinnen die neutrale Kalte von technischen Aufzeichnungsapparaturen (zu denen auch der Photoapparat gehört).
Die neutrale, ausdruckslose optische Wirklichkeit dieser Bilder wird noch verstärkt durch Bunsens Farbgebung. Er zerbricht die Kontinuität der Farbigkeit in der Flache durch den Einsatz von Nichtfarben, in denen sich Farb- und Helligkeitsgegensätze verlieren (Grau- und Braunabstufungen). Er setzt aber auch delikate Unfarben ein, die im Randbereich von Farbigkeit überhaupt angesiedelt sind und bei denen sich kaum entscheiden läßt, ob sie noch Farben sind oder nicht: Trübungen von Weiß, Wasserflecken, Beschmutzungen und Fließspuren, die vor allem ihre eigene Materialität als Spuren des Auftrags sichtbar machen und nur sekundär als Farbe wirken. In dieser Spannung zwischen den materiellen Spuren auf der Flache und dem optischen Effekt der Bildräumlichkeit oszilliert die Wahrnehmung.