Frederick Bunsen
Trinität 1986, 90 cm x 71 cm, Acryl auf Papier
Was alles als »abstrakte Malerei« bezeichnet wird, ist kaum in einer einzigen Definition zusammenzufassen. Man könnte mit einem Lexikon umschreiben: »eine Art von Darstellung, die jeden Bezug zur sichtbaren Wirklichkeit abgestreift hat«. Aber wenn diese Definition dann fortfährt: »und sich zur Aussage nur der ihr wesenseigenen Mittel, Form, Farbe und Linie bedient«, widerspricht dies einem Großteil abstrakter Malerei; denn die Künstler der Abstraktion möchten unendlich viel Subjektivem, Gefühl, Erfahrung, Sehnsucht in ihren Kunstwerken Ausdruck verleihen. Auch mit der Umschreibung »ungegenständliche Malerei« wird nur das ausgesprochen, was diese Malerei nicht sein will; nicht aber, was sie nun ist. Damit kommt z. B. die oftmals sehr bewußte Subjektivität zu kurz: Der Künstler will seine Erfahrungswelt - unabhängig von den objektiven Gegebenheiten - darstellen; oder er will die Eigenkraft der Materialien des Malens oder Bildhauens zum Leben erwecken, ohne sich an andere Gestaltgebungen anzulehnen. In der bewertenden Diskussion darf überdies niemals vergessen werden, daß in jeder großen Malerei wie in jeder wirklichen Kunst viel »Abstraktion« zu finden ist.
Sicher stehen wir mit der ausdrücklich »abstrakt« genannten Kunst mitten in der Skepsis oder gar im Überdruß des 20. Jahrhunderts. Wir stehen vor der
Frage: Was meint, wo befindet sich eigentlich Realität? Ist das, was wir mit den Augen sehen und den Fingern betasten, wirklich die Realität oder müssen wir uns tiefer führen lassen? Und wie angeekelt von platter Abbildlichkeit suchen die »Abstrakten« nach anderen Dimensionen der Wirklichkeit.
Und dies nun scheint ihre Kunst geeignet zu machen, jenseitige, transzendente Wahrheiten und Weisheiten darzustellen. Nicht von ungefähr heißt eines der Grundbücher dieser Malerei: »Über das Geistige in der Kunst«. Wassily Kandinsky hat es schon 1912 als eine Programmschrift verfaßt.
Für jemanden, der mit dieser vielschichtigen Kunst noch nicht vertraut ist, kann die Musik ein guter Weg des Kennen- und Schätzen-lernens sein. Auch die Musik vermittelt »nicht-objektivierbare« Erfahrungen (wie man abstrakte Kunst umschreibt). Doch nicht übersehen werden darf, daß manche abstrakte Kunst weniger »Erfahrungen« und »Eindrücke« vermitteln will, sondern nur einfach darstellt.
Kein Zweifel aber sollte darüber bestehen, daß diese Kunst im religiösen Raum ernst genommen werden muß. Denn »Religion« - christlich oder nichtchristlich - reicht in das »Ungegenständliche«, »Nicht-Objektivierbare«, »Abstrakte« hinein. Ein Gottes »Bild« ist nur insoweit gültig, wie sein »Bild«-Charakter überstiegen wird ins Un-»Bild«-liche hinein.
»Überlichtetes Dunkel des Schweigens« (Dionysios Areopagita)
Auf der Suche nach einem «abstrakten» Dreifaltigkeitsbild von heute war nur Frederick D. Bunsen zu finden, der den Mut hat, ein »ungegenständliches« Bild mit dieser direkten religiösen Aussage zu verbinden. Das wiedergegebene Gemälde gehört in einen Zyklus mehrerer Bilder mit dem gleichen Titel »Trinität« - Dreifaltigkeit.
Ohne das Element des Übersteigens, des Nicht-greifen-Könnens ist jede Aussage über Gott, jedes Bild von ihm einfachhin falsch. Augustinus wiederholt es oftmals: »Wenn du begreifst, ist es nicht Gott. Etwas von Gott im Geiste berühren, bringt große Seligkeit; begreifen aber ist völlig unmöglich.«
Ein Grund dafür liegt im Menschen selbst, ist die Unfähigkeit eines jeden Geschaffenen, auch des Menschen, das Ungeschaffene zu verstehen. Vor Gottes Licht erblindet der Mensch - nach einem von Johannes vom Kreuz aus der griechischen Tradition aufgegriffenen Bild - wie die Nachteule vor der Sonne. Dieses Erblinden aber ist - wie der Kirchenlehrer der Mystik weiter schreibt - noch tiefer in Gottes Unbegreiflichkeit selbst begründet.
Ein Grundtext des Mittelalters aus der Hand Papst Gregors des Großen schildert in dieser Weise Gott: »Der immer gleiche in allem, wie außerhalb von allem, wie über allem. Von oben herrschend, von unten haltend, von außen umhüllend. von innen durchdringend. Ein und derselbe ist er als ganzer überall: durch Beherrschen erhaltend, durch Erhaltung beherrschend, durch Umgeben durchdringend, durch Durchdringen umgebend.« Zum Verständnis dieser paradoxen Aussagen muß man sich bewußt machen, daß zum Begreifen und Verstehen stets ein Abgrenzen und Vergleichen mit anderen gehört. Wovon aber kann man Gott abgrenzen, der doch alles umfaßt? Mit wem kann man ihn vergleichen, da doch alles in ihm enthalten, er der Grund von allem ist?
Doch zum Schweigen vor Gott, worin jede wahre Gotteserkenntnis gipfeln muß, liest man bei dem französischen Theologen Kardinal Henri de Lubac, der wie kein anderer das je größere Geheimnis Gottes beschrieben und mit einer Fülle von mystischen Zeugen auf es hingewiesen hat: »Das Schweigen steht nicht am Anfang; es steht am Ende. Es gibt nichts Schlimmeres als eine >negative Theologie<, die zur unrechten Zeit kommt. Das Spiel der Bejahung und der Verneinung ist kein Spiel ohne Spielregeln.« Das meint: Schweigen ist der Gipfel der Gotteserkenntnis und -erfahrung. »Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, trat im Himmel Stille ein, etwa eine halbe Stunde lang« (Offb 8,1). Doch dieser Gipfel in der Höhe Gottes hat als Basis die vielfältigen Bilder und Erfahrungen unserer Welt. Man muß - oft mit viel Mühe - zu diesem Gipfel emporgestiegen sein, um schweigend die unendliche Weite der göttlichen Bergesgipfel erleben zu können.
Von diesen Spielregeln muß man sich auch beim Betrachten der »Trinität« F. D. Bunsens leiten lassen. Er selbst betont es, wenn er schreibt: »Die Kunst ist eine Sprache, die gelesen werden kann, in die jedoch keine Projektionen hineininterpretiert werden dürfen.« Man darf also nicht einfach sich dem Gemüt hingeben, sondern muß seine Kunst, die er eine »Negation der Lüge« nennt, regelrecht lesen. Die Grammatik und das Wörterbuch dazu sind sein malendes Tun im Prozeß der Bildentstehung. Genau dies muß auch von dem, der ein Bildverständnis sucht, nachvollzogen werden. »Das, was er schöpft (schafft), (ist) er selbst in seiner Erkenntnis.« Der Kunstbetrachter muß sich also in seinem Verstehen auf den Weg begeben, auf dem das Bild selbst entstanden ist. Zuerst also ist da eine leere Fläche. Der Blick bleibt lange auf ihr harren. Alles Schöpferische beginnt wie Gottes Tun im ersten Kapitel der Bibel - in der Leere oder der Nichtordnung. Nur eine »leere« Hand kann gefüllt werden. Dann trägt der Pinsel des Künstlers ein Weiß auf, das ins Graue, wenn nicht gar ins Schwarze übergeht. Vom unteren Rand her kommen weitere Striche hinzu: Malen sie ein Rot des Sterbens oder ein Rot des Lebens? Bunsen wird nicht müde zu betonen, daß der Hintergrund seiner Kunst Kampf gegen den Tod ist: »Leben als Negation des Todes - Den Tod sehe und male ich. Das Leben kommt dabei ins Bild.« So etwa antwortete er auf die Frage eines Journalisten: »Wo ist Christus?«
Von oben her fällt etwas Blau ins Bild. Was bedeutet nicht alles Blau? Melancholie (Else Lasker-Schülers »Blaues Klavier«), Aufstieg zum Himmel (Chagalls Fenster in St. Stephan, Mainz). Dazwischen sind die »Stacheldrähte« gespannt; der untere ist sicher aus Härte, Leid, Schmerz entstanden und scheint aus der Wirrnis der Farbwerdung aufzutauchen.
Darf man weitergehen in der Deutung? Bunsen erklärt das Werden seiner Kunst in Analogie zur Dreifaltigkeit: »Gott-Vater, woraus geschöpft (geschaffen?) wird, und Gott-Sohn, wodurch manifestiert wird. Im Lebendigen des Werdens, in der Kunst-Handlung erkennt der Künstler sich und wird dabei versöhnt. Leben wird in den Künstler gehaucht: Gott, Heiliger Geist, Geist als Dimension des Zwischen.«
Dieses »Zwischen« ist der Ort des Verstehens. Für Martin Buber ist das »Zwischen« der Begegnung von Ich und Du Ursprung allen Seins, er nennt es »Geist«. In diesem »Zwischen« - zwischen Bild und mir, zwischen dem malenden Künstler und mir, zwischen dir und mir - wird lebendig, was »Trinität« bedeutet: das offene Zwischen des Dialogs. So schreibt Augustinus: »Zwinge dein Herz, Göttliches zu denken. Aber du kannst nicht sagen: Das ist es. Sag nur: Es ist es nicht! Wenn du nämlich sagst, es ist Gott, siehst du ihn nicht, denn unausdrückbar ist, was du siehst.«
Für Teilhard de Chardin bricht in diesem »Zwischen« eine neue Dimension der Weltgeschichte auf. Nicht nur die Dimension des Augustinus, nach oben zu Gott und im je Jetzt zum Mitmenschen, sondern auch nach vorwärts in die Zukunft Gottes und der Menschen. Es ist die Dimension der Liebe, die »zwischen« den Menschen und allen Geschöpfen wachsen soll und sie zur Einheit des Punktes Omega heranwachsen läßt.
Josef Sudbrack SJ
aus: Der göttliche Abgrund, 1991 Echter Verlag Würburg, S. 49-50